Jürgen aus Gochsheim ist schon als Kind dem Kadetten aus Rüsselsheim verfallen. Seither brennt in ihm eine Liebe, die manchmal gar nicht einfach ist….
von Stephan Gilliar
Ein Hinterhof irgendwo in Gochsheim. Jürgen begrüßt mich mit Handschlag und führt mich in eine umgebaute Scheune, in der man problemlos vom glatt gegossenen Estrich essen könnte. Was für eine Werkstatt… geräumig, gut bestückt und perfekt in Schuss. Nur das Beste für Jürgens Babys, die hier unter Schweiß und Tränen neu geboren werden. In der Ecke steht Jürgens Liebling, eine wespenartige, gelb-schwarze Schönheit, die schon ein halbes Jahrhundert auf dem geschwungenen Coupé-Buckel hat. Der massive Viertakter in ihrem aufgerissenen Maul glänzt im Licht der April-Sonne. Insgesamt sechs dieser Schönheiten haben Jürgen und sein Bruder Norbert in den letzten Jahrzehnten ganz neu im Sinne ihres Schöpfers aufleben lassen, allesamt aus dem Hause Opel – allesamt des Typs Kadett C.
Es war genau dieser Wagentyp, in den sich Jürgen als Teenager verknallt hat, als er im Fond des schwarzen Kadett C des Cousins seines Vaters mitfahren durfte. “Er war tief, laut, hart und dreckig… er war genau das, was ich wollte“, erzählt Jürgen und pafft an einer Zigarette, die er sich zuvor aus einem alten Zigarettenautomaten an der Hallenwand mit ein paar alten D-Mark-Münzen gezogen hat. “Ich bin eben ein echter Retro-Fan“, grinst er schief und erzählt seine Geschichte. Wie sich herausstellen sollte, eine Geschichte von echter Leidenschaft, ja von Liebe, die Jürgen und seinen Bruder auf hohe Berggipfel, aber auch in tiefe Täler geführt hat.
Geboren wurde Jürgen vor 43 Jahren, genau wie ich, anno 1980. Sein Elternhaus, das er viele Jahre später kaufen und renovieren sollte, steht in Gochsheim. Lange Jahre hat Jürgen aber auch in Unteröwisheim gewohnt, ein echter Kraichtaler eben. “Ich bin irgendwie nie richtig rausgekommen”. Knatternde Motoren, der Geruch von Öl und Benzin haben es ihm sehr früh angetan und so verwundert es nicht weiter, dass er schließlich eine Lehre als Kfz-Mechaniker in einem Bruchsaler Autohaus beginnt. Dort trifft Jürgen auf seine erste Jugendliebe, einen himmelblauen, 55 PS starken Kadett C, der in Einzelteilen auf dem Hinterhof auf seine Verschrottung wartet. Für unverschämte 200 Mark kauft Jürgen die Überreste seines Traumautos und beginnt es zu Hause Stück für Stück wieder zu jenem Schmuckstück zu machen, das es bei seiner Taufe auf dem Werksband in Rüsselsheim (das Opel-Stammwerk, der Kadett C wurde allerdings hauptsächlich in Bochum und später auch in Antwerpen gebaut) Mitte der 70er einmal war. “Das war ein trauriger Anblick, Löcher im Getriebe, Rost überall, kein TÜV, von vorne bis hinten runnergehurt“, erinnert sich Jürgen und lächelt. “Meine ganze Lehrlingskohle habe ich da hineingesteckt”.
Doch 55 PS waren für Jürgen bei weitem nicht genug. Ganze zweimal tauscht er den kompletten Motor seines Kadetts, stattet den Wagen mit einer erklecklichen Anzahl an Pferdestärken aus. Dazu ein Käfig, Schalensitze und ein tiefer gelegtes Fahrwerk… Walter Röhrl wäre stolz auf ihn gewesen. Bis 2002 hält seine blaue Perle, danach will Jürgen mehr. Aus einem Seniorenhaushalt kauft er erneut einen auf den Hund gekommenen Kadetten, zerlegt ihn in seine Einzelteile und transplantiert dem einstigen Sonntagswagen ein ganz neues, rasantes Innenleben, lässt dabei aber das gepflegte Äußere bestehen. “ Das war ein Rentner auf Steroiden” lacht Jürgen.
Beruflich bleibt er der Branche die ganzen Jahre treu. Zweimal wechselt er noch das Autohaus, macht 2012 in der Abendschule seinen Meister. Neben der Arbeit brennt seine Leidenschaft für die C-Variante des Kadetten aber immer weiter, immer höher, immer heißer. Weitere Fahrzeuge folgen… Über ein Gesuch in den Kleinanzeigen stößt Jürgen auf ein Coupe, die 1000er-Variante…oder, die Speerspitze, wie sie Jürgen nennt. Dreimal fährt er mit dem Anhänger nach Kassel, um die Einzelteile seines Traumautos nach Hause zu holen, drei Jahre investiert er in dessen Wiedergeburt. Wenn er einmal angefangen hat, an einem Wagen zu basteln, ist er wie im Tunnel, dann vergeht die Zeit wie im Flug. “Ich stehe immer unter Strom“, erzählt Jürgen und “Wenn mir nachts eine Idee kommt, gehen sofort die Lampen an und ich stehe in der Werkstatt”.
Es ist eine Leidenschaft, die er mit seinem kleinen Bruder Norbert teilt. Beide lieben sie ihre Kadetten, beide lieben sie es, an ihnen zu arbeiten und dieses ganz spezielle Fahrzeug immer wieder neu zu entdecken. “Ich bin noch nicht mal der große Opel Fan, es ist tatsächlich nur der Kadett C” erklärt Jürgen seine komplizierte Liebe. “Wenn du da Rückmeldung und Komplimente von anderen Fans bekommst, ist das ein Gefühl, da explodierst du innerlich vor Freude”. Regelmäßig besuchen Jürgen und Norbert daher ein speziell auf den Kadett zugeschnittenes Fantreffen bei Kaiserslautern, ein Highlight.. Ach was, das Highlight im jährlichen Kalender der beiden.
Die Liebe zum C-Kadetten hat Jürgens komplettes Leben geprägt, jedoch nicht immer nur auf schöne Art und Weise. “Es ist eine gestörte Liebe” räumt er auch frei ein. Die viele Zeit, die Jürgen in seine Fahrzeuge investiert hat, fehlte oft an anderer Stelle. So ging seine Ehe in die Brüche, denn allzu oft fiel die Entscheidung, mit wem Jürgen seine verfügbaren Stunden verbringen möchte, auf seine Familienmitglieder mit vier Rädern. Ob er das bedauert, möchte ich von ihm wissen? Natürlich bedauert er es, weiß aber gleichzeitig auch, dass er daran auch in Zukunft nichts ändern kann… zu sehr und tief hat er sich an den Kadetten verloren.
Auch sein Bruder Norbert bezahlte reichlich Lehrgeld für seine Liebe zu diesem ganz speziellen Auto. Vor über 20 Jahren, als er zusammen mit seinem großen Bruder Jürgen von Kaiserslautern zurück in den Kraichgau fährt, gehen die Pferde mit ihm durch. Es ist das alte Lied – schon fast ein unrühmlicher Klassiker – wenn jugendlicher Übermut auf zu viel Kraft unter der Motorhaube trifft. Auf einer Landstraße verliert Norbert die Kontrolle über seinen Kadetten, rast frontal in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Jürgen wird Zeuge der Szene, ohnmächtig etwas zu tun…dafür geht alles viel zu schnell. Er zieht seinen blutüberströmten Bruder aus dem Autowrack, ist sich in diesem Moment sicher, dass er bereits tot ist. Doch Norbert hat Glück im Unglück. Zwar wird durch den Aufprall fast sein Unterkiefer abgerissen, doch am Ende überlebt er, genau wie der nicht weniger schwer verletzte Fahrer des anderen Fahrzeuges, den Unfall fast folgenlos. Noch im Krankenhaus erzählt ihm Jürgen von einem neuen Kadetten, auf den er per Zufall gestoßen war, und Norbert brennt sofort wieder lichterloh. Ein bisschen muss ich eingedenk dieser Szene, dann doch schlucken. Es ist ein schmaler Grat, der zwischen Leidenschaft und Obsession verläuft, doch gilt es auch solche Lebensentwürfe zu akzeptieren. Jürgen und Norbert sind seither jedenfalls nie wieder hintereinander hergefahren. Die Ohnmacht, die Jürgen beim Unfall seines kleinen Bruders verspürt hat, will er nie wieder erleben. Seither fahren Sie lieber zusammen.
Wie es bei den beiden weitergeht? Sie kennen die Antwort darauf bereits. Neue Autos, neues Glück, immer noch die alte Leidenschaft. Sechs Kadetten sind es mittlerweile an der Zahl – Jürgens großes Ziel: Am 30. April alle auf dem C-Treffen in Kaiserslautern in Reih und Glied präsentieren. Und dann? Dann geht es weiter, weiß Jürgen genau. Denn nichts mag er weniger, als die Leere, die sich nach einem abgeschlossenen Projekt einstellt. Das siebte Pferd im Stall ist daher wohl nur eine Frage der Zeit. “Ich weiß, es ist die schlimmste Stufe der Leidenschaft“, räumt er frei ein, aber auch “Das sind eben alles Kinder von mir”.
Wenn man die Beziehung zu Jürgen und seinen Kadetten beschreiben müsste, bliebe wohl nur der Facebook-Klassiker “Es ist kompliziert”. Es ist eben eine Leidenschaft, die man wohl nur dann nachvollziehen kann, wenn man sie einmal selbst so intensiv durchlebt hat. Ich verwahre mich daher dagegen, ein persönliches Urteil zu fällen, das steht mir schlicht nicht zu. Daher halte ich es wie der französische Historiker Jean Jaurès, der vor etwa einhundert Jahren mal gesagt hat: “Tradition heißt nicht Asche verwahren, sondern eine Flamme am Brennen halten”. Bleibt zu hoffen, dass Jürgen und Norbert in ihrer Hingabe an den Kadetten immer brennen, nie aber verbrennen werden.
Danke für den tollen Bericht über die Schätze der beiden Opel Fans. Heute sind diese Kadetten wunderbare historische Autos.. Auch ein Monza, Admiral und Diplomat zählen zu den Raritäten aus Rüsselsheim. Leider sind viele vom Rost befallen, für talentierte Schrauber kein Problem. Solche Menschen mit ihren Maschine sind willkommen bei der 10. Oltimerausfahrt in Sainte Menehould, der ältesten Partnerstadt von Bruchsal.
Opel, Opel, Karajan, ein Jeder will nen Opel haamm, fährt er in den Graben, will ihn keiner haben…
Danke für den tollen Bericht,
Opel Kadett C GTE mein Traum Oldtimer, bei einem gut erhaltenen würde ich sofort zuschlagen
@ Badenbiker: Ich habe gerade bei diversen Internetseiten eine Intersaante Variante von Irmscher gefunden. Allerdings der Preis von 25.000 Euro ist mit Sicherheit kein Schnäppchen.
Der Bericht spricht mir aus dem Herzen. Selbst bin ich mit diversen C Kadetten groß geworden. Die Zuneigung wird wohl nie erlöschen.
So a Schüssell…niemals!!!
Deine Kommentare will doch keiner hören.
Das waren halt noch Autos. Ich bin selbst in einem babyblauen C-Kadett City aufgewachsen. Herrlich.
War ein super Auto! So manchen Golf abgehängt.
U. F.
Alles Helden!!!