“Mäusl, ma muss sich halt a quäle”

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Sie sind der Fels in der Brandung, in der schon so manch neuer Bruchsaler Gastronom zerschellt ist. Seit 56 Jahren gibt es in Bruchsal “Diemers Imbiss”, seit 20 Jahren stehen hier Angelika und Reinhold am Tresen. Was ist ihr Geheimnis?

von Stephan Gilliar

Machen wir uns ehrlich. So dörflich verschlafen und liebenswert wie wir Alteingesessenen unser Bruchsal oft nostalgisch betrachten, ist es im Grunde gar nicht mehr. Die Stadt ist in den letzten Jahren massiv gewachsen, wird immer bedeutsamer als hoch frequentiertes Mittelzentrum zwischen den beiden großen Ballungsräumen Karlsruhe und Heidelberg/Mannheim. Neue Menschen ziehen in die Stadt und mit der Bahnstadt ist in den vergangenen Jahren sogar ein ganz neues Quartier für die NeubürgerInnen und Neubürger entstanden. Wo gewohnt wird, wird auch gelebt, deswegen zieht es zwischenzeitlich sogar gastronomische Ketten in die Stadt, die noch vor 20 Jahren Bruchsal vermutlich nicht einmal auf der Karte gefunden hätten. Burger King, McDonald’s und Subways finden sich hier schon länger, nun ploppen auch weitere “große” Namen in der Stadt auf. Jüngst wurde die erste Filiale von Pizza Hut eingeweiht und in Bälde soll auch die italienische Restaurantkette L’Osteria mit etwas Verzögerung eröffnen. Zusammen mit dem Enchilada und dem Neo ist damit ein guter Teil der geläufigen Filialisten in der Stadt vertreten.

Doch was macht das mit den alteingesessenen Gastronomen, jenen, die schon seit Jahrzehnten in der Stadt sind? Das will ich von Angelika Kothe wissen und besuche Sie in ihrem “Diemers Imbiss” in der Schlosstraße. Jeder Bruchsaler kennt diese Adresse, bereits seit Herbst 1967 werden hier Currywürste und Schaschlik gebrutzelt, zuerst vom namensgebenden Karl-Heinz Diemer, seit 20 Jahren nun schon von Angelika und Reinhold. Der Imbiss ist Kult, schon alleine deswegen, weil er sich treu geblieben ist. Hier drinnen stehen immer noch dieselben Resopaltische, leuchten immer noch dieselben, alten Cola-Reklamen… es ist wie eine kleine Zeitreise in die 60er, wenn man die bimmelnde Ladentür durchschreitet. Hinter dem Tresen steht Angelika und begrüßt mich, als würden wir uns schon seit 30 Jahren kennen mit “Hallo, mein Schatz”. Hätte man mich im “Pizza Hut” so begrüßt, wäre ich völlig alarmiert rückwärts wieder hinausgetaumelt, hier aber geht das völlig in Ordnung. Was dort maximal unauthentisch bis verrückt geklungen hätte, wirkt aus Angelikas Mund einfach nur stimmig. Angelika ist ein Original, genau wie ihr Reinhold, der hinten in der kleinen Küche gerade vor sich hinwurschtelt. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, zeigen unverblümt dem Barthel, wo er den Moscht zu holen hat.

Gegenüber Ihren Gästen sind Sie herzlich aber bestimmt, kein unterwürfiges und duckmäuserisches Getue, wie es in der Systemgastronomie schon fast zwanghaft angewendet wird, dagegen vielmehr 100% unverstellte Brusler Schnauze. “Schatz, du bist zu spät” sagt sie, als ein gipsverklebter Handwerker kurz vor Ladenschluss noch den Imbiss betritt. “Chefin, bitte, bitte…” bettelt dieser und Angelika lacht und bedient den Mann scherzhaft schimpfend. Ich will ehrlich sein, bei so etwas geht mir das Herz auf. Bei Angelika ist es wie früher, wie in der guten alten Zeit, wann immer sie auch gewesen sein mag. Hier weiß ich was mich erwartet, hier weiß ich, was man von mir erwartet und das Freunde kann ich von kaum einem anderen Teil meines Lebens behaupten.

Wer sich auf Angelika, Reinhold und das unausgesprochene “Diemers-Protokoll” einlässt, wird mit einem wunderbaren Erlebnis belohnt. Alles Inklusive: Ein herzerwärmender Schwatz wie in Omas Waschküche, ein Umfeld wie die Zeitblase der eigenen Kindheit und zudem noch gute Hausmacher Küche mit reichlich Currysauce obendrauf.

Es wundert mich nicht, dass es diese Institution schon so lange gibt und dass sie sich in jeder verrückten Epoche, die sich da draußen vor den Schaufenstern abspielt, bisher erfolgreich bewährt hat. Trotzdem will ich wissen, wieso es die beiden hier immer noch gibt während so viele andere Gastronomen in Bruchsal trotz pompöser Eröffnung und fulminantem Start zwischenzeitlich wieder das Zeitliche gesegnet haben? Durch harte Arbeit und einen eisernen Willen, fasst es Angelika zusammen und schiebt auf ihre unvergessliche Art hinterher: “Mäusl, ma muss sich halt a quäle”. Sie erzählt mir von den ersten Tagen, als die Imbissgäste – irritiert durch die unsteten Öffnungszeiten in den letzten Monaten der Ära Karl-Heinz – erst einmal Stück für Stück die neue Verlässlichkeit wieder entdecken mussten. Sie erzählt mir von den Schwierigkeiten, in den ersten Jahren schwarze Zahlen zu schreiben und wie statt eines Bankkredits das Sparbuch der beiden Stück für Stück geplündert werden musste. Sie erzählt mir von den vielen Überstunden und einem Putzjob am Abend in einer Praxis, um über die Runden zu kommen…

Reinhold und Angelika in Diemers Imbiss in Bruchsal

Doch die Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt, Diemers Imbiss gibt es immer noch und das bereits seit fast sieben Jahrzehnten. Wenn man für das Konzept der beiden Kothes ein Pauschalrezept benennen müsste, würde der folgende Anglizismus ganz gut greifen: Never change a running system – ändern Sie niemals das laufende System. Angelika und Reinhold setzen auf Beständigkeit und lassen sich nicht dazu verleiten jedem neuen Trend hinterher zu rennen. was sich bei ihnen allenfalls immer wieder den Gegebenheiten anpasst, ist ihre Speisekarte. Darauf gibt es unverhandelbare Klassiker wie die Currywurst, Schaschlik oder die selbstgemachten Maultaschen, aber auch saisonale Gerichte, die so gar nicht in den Aushang eines Imbiss passen wollen: Gerade kocht Reinhold z.B an einem Hirschgulasch mit Sherry, Rotwein, Kräutern, Zwetschgen und Schokolade. “Kein typisches Imbiss-Essen” argumentiere ich und Angelika entgegnet: “Wir sind auch kein Imbiss” dreht sich zum Schriftzug “Diemers Imbiss” an der Schaufensterscheibe um und lacht schallend “Na gut sind wir doch”.

Was die neue Konkurrenz in Bruchsal angeht, so zeigt sich Angelika völlig tiefenentspannt. Sie hat schon vieles kommen und gehen sehen oder wie sie es nicht ganz wortgetreu ausdrückt: “Ich habe schon Gäul vor dem Rathaus kotzen gesehen”. Das hat sie in der Tat. Sie hat gesehen, wie sich nur ein paar Meter weiter am Europaplatz unzählige Wirte die Klinke in die Hand gegeben haben, hat gesehen wie vor der neuen Donut-Filiale die Menschen zuerst 200 Meter Schlange standen und zuletzt das “Zu vermieten” – Schild im Fenster landete.

Die neue Generation von Wirten hat einfach kein Sitzfleisch mehr, findet Angelika und erzählt wie schon damals in ihrem IHK Kurs für Gastronomen, viele Teilnehmer einfach die wichtigen Infos schlafend am Platz versäumt haben. “Man muss auch raus und sein Bestes geben wenn man einen schlechten Tag hat” ist sie sich sicher und bringt ihr Lieblingszitat von Sternekoch Christian Rach: “Qualität kommt von sich quälen”. Allzu sehr müssen sich Angelika und Reinhold aber nicht quälen, der Job macht ihnen nach wie vor viel Spaß und Freude. “S´isch immer noch arg schee” lacht Angelika und aus der Küche brummt Reinhold zustimmend. Und so wird das Happy End für Diemers Imbiss auch ein Stück weit zum Happy End für Bruchsal, die beiden werden weitermachen, noch ein ganzes Stück sogar. Zwar hat alles irgendwann einmal ein Ende und – der muss sein – die Wurst sogar zwei, doch für Angelika und Reinhold zählt nur ihr kleiner, alter Imbiss: „… alles onnare isch worschd“.

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11 Gedanken zu „“Mäusl, ma muss sich halt a quäle”“

  1. Ja alles wohr!!
    Sauguter Gulasch, hervorragende Mauldasche, weit und breit die beschte Rollade und dann erscht die Werscht in alle Schatierungen usw.
    Also en Gute !
    Siegbert

  2. Als Internatsschüler im Paulusheim waren wir in den achtziger Jahren heilfroh, dass wir für wenig Geld ein leckeres Essen beim Diemer bekommen haben, wenn es in der Paulaner Küche mal wieder ein ungenießbares Mittagessen gab 🍟 🌭

  3. Als Pflegekraft im Aussendienst haben wir uns ab und zu eine Pause gegönnt und uns zu einer Currywurst mit Pommes beim Diemer getroffen. War wunderbar! Gottseidank gibt es noch dieses herzliche urige Lokal.
    Bruchsal würde was fehlen!

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