Nach Protesten: Bargeld-Comeback an Kraichgauer Stränden
Ein Kommentar von Philipp Martin
Die analoge Zeit, sie geht langsam aber sicher zu Ende. Papier wird durch digitale Formulare ersetzt, “Online” ersetzt “Offline”, das Physische weicht dem Virtuellen. Auch wenn Deutschland in dieser Hinsicht keineswegs eine Paraderolle spielt oder auch nur unter den vorderen Zugnummern mitmarschiert, ist diese Entwicklung auch bei uns unaufhaltsam. Die Vorteile von elektronischen Rezepten, digitalen Behördengängen und Transaktionen jeder Art, wie zum Beispiel Urlaubsbuchungen oder Einkäufe liegen auf der Hand: Schneller, effizienter und günstiger. Wirklich überrumpelt kann sich von der Digitalisierung eigentlich niemand fühlen, schließlich wurden die ersten schnellen Internetanschlüsse bereits vor einem knappen Vierteljahrhundert in Deutschland freigeschaltet. Auch wenn nicht alle mit dem neuen, digitalen Zeitalter liebäugeln mögen, ist es dennoch längst mitten in unserer Gesellschaft angekommen, längst ein essentieller Teil davon.
Während wir das zum Beispiel bei der Kommunikation oder auch beim Einkaufen längst als vorteilhaft für uns akzeptiert haben, fremdeln wir in anderen Bereichen dennoch mit digitalen Dienstleistungen. Das mussten in den letzten Wochen und Monaten auch die Gemeindeverwaltungen in Ubstadt-Weiher und Forst auf die harte Tour begreifen. Ihre Plänen, das Ticketsystem der beiden großen Kraichgauer Badeseen digital umzurüsten, erzeugte derart viel Gegenwind, dass nun nur noch ein zähneknirschendes Einlenken blieb. Eigentlich sollte der Verkauf von Eintrittskarten komplett online abgewickelt werden, perspektivisch auch die Einlasskontrolle. Ein nachvollziehbarer Schritt, bedenkt man welche Personalsorgen die Freizeiteinrichtungen umtreiben und welche Kosten allein durch das Personal, die Instandhaltung und die Bewirtschaftung anfallen. Dazu muss man wissen, dass Bäder für Kommunen fast immer ein Zuschussgeschäft sind. Die Kosten übersteigen bei weitem die Einnahmen, rote Zahlen sind in fast allen Fällen die Folge. “Bäder sind immer eine defizitäre Sache.“ äußerte sich schon 2008 Stefan Kannewischer, Spezialist für den Bau von Bädern gegenüber der Welt, dabei waren die Energie und Betriebskosten vor 14 Jahren noch deutlich niedriger, als sie es heute sind.
So ist das durchaus nachvollziehbar, dass Gemeinden wie Forst und Ubstadt-Weiher daran interessiert sind ihre Freizeiteinrichtungen zumindest so effektiv wie möglich zu bewirtschaften, alleine schon um sie überhaupt dauerhaft der eigenen Bevölkerung anbieten zu können. Denn auch das ist Realität: Wenn der Betrieb sich irgendwann überhaupt nicht mehr rentiert, werden Bäder eben auch geschlossen, dies passiert überall im Land mit trauriger Regelmäßigkeit, zuletzt beispielsweise im allseits beliebten Aquatoll in Neckarsulm.
Der Ticketkauf am Hardtsee und am Heidesee ist nicht kompliziert, das Prozedere im Grunde selbsterklärend. Man wählt online das gewünschte Ticket aus, hinterlässt seine Daten und bezahlt digital… am Hardtsee geht das mit Kreditkarte oder Paypal, am Heidesee sind sogar Bankabbuchung und/oder Google Pay über diese beiden Punkte hinaus verfügbar. Auch die Buchung für den laufenden Tag funktioniert nach eigenem Test problemlos, selbst wer direkt vor dem Kassenbereich noch spontan ein Ticket kaufen möchte, kann dies über das dort vorhandene WLAN quasi last minute erledigen.
Dennoch ist der Zwang zum Online-Kauf vielen Badegästen offenbar einen schmerzhafter Dorn im Auge, anders lassen sich die heftigen Reaktionen nicht erklären, die in erster Linie das Personal vor Ort auszubaden hat. Teilweise brachen Besucher offenbar auch Ihren Ausflug an die Badeseen bereits an der Kasse ab, so sehr echauffierten sie sich über den digitalen Wandel an der Kasse. Während manches Feedback ganz pragmatisch mit engstirnigem Trotz oder den neuerdings so salontauglichen Partikularinteressen zu erklären ist, gibt es natürlich auch berechtigte Kritik an der neuen digitalen Wirklichkeit. Viele ältere Menschen verfügen weder über ein Smartphone, einen Computer oder gar über einen Internetanschluss, zudem gibt es auch Eltern die aus pädagogischen Gründen ihren Kindern in jungen Jahren noch kein solches Gerät zur Verfügung stellen wollen. Beides gilt es zu akzeptieren, doch ist die zugrundeliegende, gesellschaftliche Debatte nicht einfach. Ab wann dürfen wir beispielsweise von Senioren erwarten, sich mit dieser Technik vertraut zu machen, ab wann ersetzt ein neues Verfahren restlos ein überholtes? Nach 5 Jahren, nach 10 Jahren oder in 25 Jahren?
Für den vollständigen Umzug nach Neuland ist es offenbar weder in Forst noch in Ubstadt-Weiher die Götterdämmerung angebrochen. In beiden Kommunen haben die Gemeinderäte die Pläne der Verwaltung nun zumindest modifiziert. So gibt es sowohl am Hardtsee als auch am Heidesee fortan wieder die Möglichkeit – in Ausnahmefällen (das betonen beide Kommunen) – wieder Tickets ganz direkt vor Ort und mit Bargeld zu erwerben. Was für Bürgerinnen und Bürger als keine große Sache und Selbstverständlichkeit erscheinen mag, bringt aber dennoch zusätzliche Arbeit für das Personal der beiden Freizeitzentren. Wechselgeld muss besorgt und bereitgehalten werden, die Tickets händisch im Kassensystem verbucht, die Kasse am Abend irgendwo deponiert werden. Gerade letzteres ist gar nicht mehr so einfach, da Banken in der Regel keine Möglichkeit der Bargeldeinzahlung nach ihren Öffnungszeiten mehr vorsehen. Mitarbeiter müssten das Geld also mit nach Hause nehmen, was wiederum vermutlich durch Versicherungen als unzulässig eingestuft wird. Sicher, alles Probleme für die sich improvisierte Lösungen finden lassen, dennoch ein schönes Beispiel für den holprigen deutschen Weg aus der analogen Gegenwart in das digitale Morgen. Dass ausgerechnet wir dauerbruddelnden Kraichgauer diesen ohne Murren wie vorgezeichnet gehen, dürfte vermutlich aber niemand erwartet haben. So heißt es am Hardtsee und am Heidesee nun: Drei Schritte nach vorne und wieder einen zurück.
Ich finde, dass analog durchaus seine Berechtigung hat und auch Arbeitsplätze erhält. Man sollte erwarten können, dass Gemeinschaftseinrichungen, die auch wesentlich zum sozialen Leben beitragen von öffentlicher Seite dementsprechend mitfinanziert werden. Für andere Maßnahmen haben wir ja auch plötzlich Geld vom Steuerzahler übrig, von wir bisher gar nichts wussten. Ich kann den Unmut verstehen und bezahle auch lieber am Kassenhaeuschen bei netten Menschen mit denen man noch ein paar Sätze wechseln kann. Auch das macht Mensch sein aus.
2021 konnte sich jeder entsprechend ein Ticket ziehen. Weil war ja Pandemie, da konnte man das. Aber 2022 ist das viel zu kompliziert.
Hardtsee geht übrigens auch mit Apple Pay.
Ein Automat würde es auch tun, sollte halt Abends geleert werden, sonst wird er zu gerne aufgebrochen.
Gab es doch in Bretten im Hallenbad jahre (oder waren es jahrzente) lang.
Prinzipiell habe ich nichts gegen die Online Tickets, aber speziell den Ticketshop vom Heidesee finde ich schon etwas „schwierig“. Warum wird zum Eintritt neben Vor- und Zuname auch die vollständige Adresse, exaktes Geburtsdatum und vieles mehr benötigt? Nicht nur, dass man sich fragt für was diese Daten eigentlich so ausführliche benötigt werden (die Datenschutzerklärung ist da nicht sehr aufschlussreich), auch ist es einfach nervig, wenn man mit dem kleinen Smartphonedisplay vor dem Eingang steht und minutenlang komplizierte Formulare ausfüllen muss, wenn man doch eigentlich einfach nur rein will. Von anderen Schwimmbädern, Zoos und Co. kenne ich deutlich einfachere und benutzerfreundlichere Ticketsysteme.
Ansonsten müsste es Bargeld für mich gar nicht sein, an der Kasse oder Automat mit Girocard zu zahlen würde auch reichen. Auch die ältere Bevölkerung, die gelegentlich Bahn fährt oder einfach nur einen Parkschein ziehen will kommt damit zurecht.
Sind an den Gewässern genügend Schließfächer vorhanden, um sein Smartphone gehen Diebstahl zu Schützen?
Am Wochenende z.B im 4 stelligen Bereich.
Mich würde brennend interessieren wie diese Maßnahme zur oben genannten Effektivität beigetragen hat? Können die hohen Kosten durch den Onlineverkauf (was in der Regel mindestens 10% vom Ticketpreis ausmacht) mit Personalkürzungen in der Gemeindeverwaltung und beim Eigenbetrieb Hardtsee zumindest ausgeglichen werden?
Die Bindung an externe Dienstleister ist nicht immer die beste Lösung…