Selbst in den kleinsten Kraichgau-Dörfern eröffnen inzwischen Lebensmittelmärkte neue Filialen. Besonders eine Kette sticht dabei hervor.
Was haben Karlsdorf-Neuthard, Philippsburg, Kirrlach, Forst, Hambrücken, Stutensee, Bruchsal, Langenbrücken, Angelbachtal, Odenheim, Oberderdingen, Zaberfeld, Gondelsheim, Unteröwisheim, Helmsheim, Elsenz, Hilsbach, Gemmingen und in Kürze auch Zaisenhausen sowie eventuell Büchig gemeinsam? Die Antwort lässt sich in den badischen Nationalfarben Gelb und Rot ausdrücken und lautet: Eine Filiale von Netto Marken-Discount. Das 1928 gegründete Unternehmen aus der bayerischen Oberpfalz, das bald sein 100-jähriges Bestehen feiern wird, ist der absolute König, wenn es um die Dichte des Filialnetzes in unserer Region – insbesondere im ländlichen Kraichgau – geht. Betrachtet man den vergleichsweise dünn besiedelten Raum rund um Kraichtal, zwischen Sinsheim, Östringen, Eppingen, Bretten und Bruchsal, sticht besonders der bayerische Exportschlager hervor. Während Mitbewerber wie Lidl und Aldi sich augenscheinlich eher auf die Ballungsräume konzentrieren, finden sich Netto-Filialen auch mitten im ländlichen Raum, teilweise nur einen sprichwörtlichen Katzensprung voneinander entfernt. Gerade einmal vier Kilometer Luftlinie trennen die Niederlassungen in Hilsbach und Elsenz voneinander. Beide Gemeinden kommen grob geschätzt auf etwa je 2.000 Einwohner, sodass sich die Frage stellt, wie sich ein Supermarkt hier wirtschaftlich tragen kann. Demnächst wird auch Zaisenhausen eine eigene Filiale erhalten, obwohl dort nur rund 1.800 Menschen leben.
Doch warum entscheidet sich Netto dafür, auch in dünn besiedelten, ländlichen Gemeinden einen Markt zu eröffnen, während andere Unternehmen dies offensichtlich nicht tun? Wir haben das Unternehmen gefragt, doch die Antwort bleibt recht allgemein gehalten: Netto Marken-Discount legt großen Wert darauf, Verkaufsflächen in integrierter Lage zu finden, um Städten und Gemeinden als verlässlicher Partner eine umfassende Nahversorgung zu ermöglichen – so der äußerst vage Tenor. Standortspezifische Details nennt das Unternehmen aus wettbewerbsrelevanten Gründen nicht. Klar ist jedoch: Bei Netto stehen alle Zeichen auf Expansion und einer fortschreitenden Erweiterung des Filialnetzes. Das geht aus einer Pressemitteilung des Unternehmens aus dem vergangenen Herbst hervor, die der Antwort an unsere Redaktion beigefügt wurde. Demnach sucht Netto aktiv Verkaufsflächen, idealerweise in integrierter Lage. Zudem verfolgt das Unternehmen auch innovative Entwicklungskonzepte, bei denen neue Niederlassungen beispielsweise mit Wohn- und Gewerbeflächen kombiniert werden. Dies dürfte bei Kommunen auf Zustimmung stoßen, da solche Multifunktionsbauten der Regionalplanung entgegenkommen. In der Mitteilung spricht Netto auch explizit den ländlichen Raum an: Ziel sei es, die lokale Infrastruktur zu stärken und regionale Gemeinden zu unterstützen.
In den Gemeinden, vor allem in den kleinen, freut man sich über diese Grundhaltung. „Keiner hatte uns auf dem Schirm“, erzählt beispielsweise Zaisenhausens Bürgermeisterin Cathrin Wöhrle. Vermutlich noch in diesem Jahr wird am Ortsrand ihrer etwa 1.800-Einwohner-Gemeinde eine weitere Netto-Filiale eröffnen. Eigentlich habe man laut Regionalplanung kein Anrecht auf einen eigenen Markt gehabt, berichtet die Bürgermeisterin, doch als Netto aktiv auf die Gemeinde zukam, konnte man sich mit dem Regionalverband einigen. „Ich bin einfach nur froh, dass jemand kommt“, so Wöhrle. Besonders positiv bewertet sie das Sortiment, das von Frischwaren über Dinge des täglichen Bedarfs bis hin zu Schreibwaren reicht. Offenbar habe Netto im ländlichen Raum einen Markt erkannt. Wöhrle hält die Ansiedlungen für strategisch geschickt, auch wenn sie die Netto-Philosophie nicht vollständig erklären kann. Es ist davon auszugehen, dass Netto diese Strategie gut durchdacht hat, um die Expansion des Filialnetzes weiter voranzutreiben. Marktanalysen und Untersuchungen des Umfelds dürften vor der Eröffnung eine Rolle gespielt haben, wie ein Unternehmensvertreter bei der letztjährigen Eröffnung der Filiale in Elsenz sinngemäß gegenüber unserer Redaktion angab.
Wie die zugrunde liegende Strategie im Detail aussieht und auf welchen Überlegungen sie basiert, bleibt eine interne Angelegenheit von Netto Marken-Discount. Auch unsere Anfrage lieferte dazu keine nennenswerten Details. Ein ehemaliger Regionalleiter einer europaweit tätigen Lebensmittelkette äußerte gegenüber unserer Redaktion die Vermutung, dass Netto den ländlichen Raum als Wachstumschance erkannt haben könnte. Eine weitere Möglichkeit sei die Standortsicherung, um durch größere Einkaufsvolumina bessere Einkaufspreise zu erzielen und so kleinere Standorte rentabel zu machen, so der Branchenkenner, der anonym bleiben möchte. Ob diese Strategie langfristig erfolgreich ist, wird die Zeit zeigen. Der Lebensmittelhandel befinde sich in einem rasanten Wandel, insbesondere durch die Digitalisierung und die Optimierung von Prozessen, die eine bisher nie dagewesene Dynamik entwickelt haben.
Die Menschen in der Region dürften sich jedenfalls freuen, dass in Orten, in denen sich zuletzt nicht einmal mehr ein Tante-Emma-Laden halten konnte, nun ein Supermarkt zur Verfügung steht. Für die kleinen Kommunen sind die Ansiedlungen ein Segen, da sie zur positiven Entwicklung der Standorte beitragen. Wie auch immer die Hintergründe der Netto-Strategie aussehen mögen, die Marschrichtung ist unverkennbar: Im strammen Tempo immer weiter nach vorne. Laut Pressemitteilung eröffnete Netto im Jahr 2023 insgesamt 116 neue Filialen und modernisierte 450 bestehende Standorte. Deutschlandweit betreibt das Unternehmen über 4.300 Filialen – Tendenz steigend.