Hängt eure eigenen Sterne im neuen Jahr ruhig etwas höher
eine Kolumne von Thomas Gerstner
Die Tage saß ich zur Feier des neuen Jahres entspannt und mit doppelt Gold-G-Status auf einer Holzbank im Sanarium und ließ alles baumeln was zum Baumeln in der Lage war. Das Sanarium ist eine Art Sauna ligtht – bunte Lichter wechseln zu einer Fahrstuhlmusik die zu einer Zeit aufgenommen wurde als man irrigerweise annahm, Panflötenklänge würden sich positiv auf gestresste Landeier auswirken. Ich nenne das Ding „Regina Regenbogens Räucherofen“ oder schlicht „Frauensauna“. Dort trifft man zwar gelegentlich auch einen verirrten Herren der Schöpfung, aber im wesentlichen sind es Frauen. Wie ich also dort auf der Bank liege und aufgrund meiner Baumelei den Eindruck erwecken musste dem Schlaf anheim gefallen zu sein, betreten fünf Frauen das Sanarium die in den Vierzigern auf der Zielgeraden zur Fünfzig sein dürften. Nachdem sie ihre Saunatücher drapiert hatten, nahmen sie Platz und begannen eine angeregte Unterhaltung die dem Schild mit der Aufschrift „Ruhe bitte“ zwar zuwider lief, aber dennoch höchst interessant war. Zusammenfassend auf den Punkt gebracht: Es ging nur um die Themenblöcke „Abnehmen“, „Schlankheit“ und „Schönheit“. Man tauschte sich über Diäten aus, wie peinlich man sich im Badeanzug an der griechischen Riviera gefühlt habe und so weiter und so fort.
Aus den Augenwinkeln musterte ich die Damen so diskret als möglich und staunte nicht schlecht. Ich sah fünf reife und erwachsene Frauen mit wachen und lebendigen Augen, charismatischen Gesichtern und ein paar Falten die von einem abwechslungsreichen Leben erzählten. Ihre Körper waren üppig, samtig und die von Ihnen monierten überschüssigen Pfunde brachten die wunderbar weiblichen Kurven hervorragend zur Geltung. Wenn ich diese Frauen mit den dürren Hühnern in den Zwanzigern vergleiche, bei denen sich jeder Knochen unter der Haut abzeichnet, so fiele mir die Wahl nicht schwer. Ich meine da sitzen fünf wunderschöne erfahrene und reife Frauen und unterhalten sich darüber wie schön es wäre wie eine Twenty-Something zu sein. What the fuck? Was soll denn dieser Jugendwahn? Ich wäre nicht gerne wieder in diesem jungen Zustand. Erinnern Sie sich noch an die ganzen Unsicherheiten die wir in diesem Alter mit uns herum getragen haben? An die nervenaufreibende Frage wohin es im Leben gehen soll? An die Unerfahrenheit in jeglichem Belang? Klar, die Haut war etwas glatter und die Kniescheiben haben noch keine Geräusche von sich gegeben, aber ansonsten würde ich die über Jahrzehnte mühsam erworbene Lebenserfahrung für nichts eintauschen wollen. Jede einzelne Narbe und Falte erzählt etwas über mich! Über schlaflose Nächte als die Kinder noch klein waren, über die Aufbaujahre der eigenen Firma oder über jedes durchwanderte Tal im Laufe der Jahre – manche davon waren wirklich tief und düster. Ich bin der Meinung, es macht Menschen schön wenn man Ihnen Ihre Lebenserfahrung ansieht. Was hat ein junges und glattes Huhn denn schon zu bieten? Noch nichts erlebt, noch nichts erfahren und kaum geliebt. Nicht verknallt sondern geliebt! Mit all dem Schmerz und der Schönheit die in diesem Gefühl enthalten sind.
Warum denken wir also so schlecht über unsere erwachsenen Körper? Die Antwort liegt gleich im Ruhebereich der Sauna aus. Frauenzeitschriften und Männerzeitschriften berichten in jeder gottverdammten einzelnen Ausgabe davon, wie man mit Hilfe ihrer neuen Wunderdiät über Nacht fünfzig Kilo verlieren kann. Himmel Herrgott – wenn auch nur eine einzige davon funktionieren würde, wäre eine weitere Ausgabe des Magazins wohl überflüssig. Wieso werden diese Hefte überhaupt gelesen? Wieso wollen wir ums Verrecken in unsere körpereigenen Abläufe eingreifen? Jeder Körper ist einzigartig – jeder Mensch hat seine individuelle Größe, Augenfarbe, Kopfform…..und ja.. auch sein eigenes Gewicht. Es gibt dünne Menschen (denen niemand ihr Dünnsein je vorwerfen würde und es gibt dicke Menschen (die natürlich schuld an ihrem Zustand sein müssen). Irgendwo auf dieser Skala zwischen sehr dünn und sehr dick, finden auch Sie sich! Gemäß der gaußschen Glockenkurve mit größerer Wahrscheinlichkeit irgendwo in der Mitte als an den Enden, aber selbst wenn – das ist NORMAL. Der schnellste Weg zum eigenen Seelenheil führt daher über die Akzeptanz dass Sie genau so sind wie sie sind. Es ist gut so! Wir alle sind vom Herrgott so geschaffen worden und sind – nun ja – schön! Ohne wenn und aber. Nun erzählt uns die Gesellschaft, oder vielmehr die milliardenschwere Abnehmindustrie ständig, dass aus dicken Menschen dünne Menschen werden müssen. Das ist Bullshit! Würden Sie anfangen sich darum zu bemühen größer oder kleiner zu werden? Wohl kaum – es sind feste Attribute! Letztlich lassen wir uns einreden, dass wir schlecht sind wie wir sind. Das kann einen Menschen kaputt machen. Klar können Sie sich das Fett vom Leibe hungern. Ihr Körper wird daraufhin mit einer Art Notfallmodus reagieren und sobald wieder etwas mehr Nährstoffe verfügbar sind, diese für die nächste Hungersnot in Form von Fettpolstern einlagern. Das ist der Grund wieso KEINE Diät auf der Welt nachhaltig funktioniert.
Besonders unglücklich ist die Tatsache, dass wir unsere Kinder in diese ekelhafte Spirale mit hineinziehen. Meine Kleine hat mich bereits in sehr jungen Jahren sorgenvoll gefragt, ob Sie zu dick wäre. In der Grundschule hätten Kinder ein dickes Mädchen gehänselt und ausgelacht. Genau so werden Menschen nachhaltig kaputt gemacht! Ich kann daher nur an jeden Leser appellieren: Tut Euch das nicht an. Sagt Euren Kindern, dass Sie schön sind wie sie sind. Und vergesst nicht, das selbe auch von Euch selbst zu denken. Lasst Euch nicht vor den Karren von Menschen spannen, die mittels der guten alten Schuldgefühle Euer Selbstwertgefühl und Euer Geld einfordern. Wie könnt Ihr andere lieben, wenn ihr nicht zuerst euch selber lieben lernt? Ich jedenfalls habe mich auf meiner Bank im Sanarium aufgesetzt, die Damen angelächelt und gesagt: Entschuldigen Sie das ich mich so ungefragt einmische, aber ich habe ihr Gespräch mit angehört und wollte ihnen gerne sagen: Ich finde Sie sehen toll aus. Ohne die Reaktion abzuwarten, bin ich gleich Richtung Dusche entschwunden – erhobenen Hauptes, mit knirschenden Knien, fast kahlem Kopf und ein paar Haaren auf dem Rücken. Aber ich will verdammt sein, wenn nicht eine von Ihnen gelächelt hat.
Tommy Gerstner