Alles hat seine Zeit, auch die Stunden hinter dem Steuer
Eine Meinung von Philipp Martin
Der Moment in dem mir klar wurde, dass mein Großvater nicht mehr Autofahren sollte, liegt schon viele Jahre in der Vergangenheit. Mein lieber Opa ist vor einiger Zeit gestorben, dennoch möchte ich euch heute davon berichten. Es war ein schöner Herbsttag als wir in damals wieder einmal in unserem Lieblingsrestaurant in Hagsfeld einkehrten. Schnitzel für die Enkel, Senioren-Portionen Kalbsrahmgeschnetzeltes für Opa und Oma, dazu noch ein paar schon oft gehörte Geschichten von früher und zum Schluss noch ein paar Kugeln Eis für die gute Noten in der Schule – ein Familien-Klassiker in der heiß geliebten Endlosschleife.
Nach dem Essen setzen wir uns ins Auto, damit uns Opa zurück nach Hause fahren kann. Beim Ausscheren aus der Parklücke touchiert Opa das Auto nebenan und ein lautes metallisches Kreischen ertönt, während Opas alter Mercedes daran entlang schrammt. Es pumpert einmal kurz als beide Außenspiegel abgebrochen werden und dann ist der schwere 220er auf der Straße und Opa gib Gas. Mein Bruder und ich schauen uns erschrocken an – nicht wegen der Kollision, sondern weil Opa überhaupt nichts davon mitbekommen hat. Als wir ihn darauf ansprechen, setzt er zurück, steigt aus und sieht sich den angerichteten Schlamassel an. Man konnte in seinen Augen ablesen das da etwas in ihm einstürzt – auch bei ihm überwiegt der Schreck, dass ihm der Unfall völlig entgangen ist dem unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden. Ein paar Wochen später zieht mein Opa den einzig vernünftigen Schluss und gibt auf der örtlichen Polizeistation seinen Führerschein ab.
Ich war damals wahnsinnig stolz auf meinen Opa, weil ich weiß wie schwer ihm dieser Gang gefallen sein muss. Der graue, speckige Führerschein steckte so lange in seiner Brieftasche, dass ich mich gar nicht mehr an etwas anderes erinnern kann. Für meinen Opa waren Autos immer mehr als nur reine Fortbewegungsmittel. Er erzählte mir immer stolz, wie er damals seinen Führerschein in den 20er Jahren bekommen hat. In einem alten Pritschenwagen mit Holzvergaser hat ihm der Metzger aus der Nachbarschaft ein paar Fahrstunden gegeben und später als er dann den Wagen seines Vaters fahren durfte, hat dieser von unten einen Nagel gegen das Gaspedal durch das Blech geschlagen, damit der Bub nur in Schrittgeschwindigkeit übers Pflaster schleichen konnte. Danach hat er alles gefahren was er unter Finger und Lenkrad bekommen konnte: Lastwagen und Kübelwagen im Krieg, eine BMW Isetta als ersten eigener Flitzer, einen Brezel-Käfer, später einen Opel Commodore, einen Ford Taunus und dann viele Jahrzehnte lang den 220er perlweißen Mercedes mit Ledersitzen – sein ganzer Stolz. Er erzählte mir wie er mit vier Kindern im VW Käfer über die Berge nach Italien gefahren ist und wie sehr Ihnen allen das trotz der irrsinnige Enge Spaß gemacht hat.
Ihr könnt also davon ausgehen dass die Abgabe jenes grauen und abgegriffenen Stückes Papier, das für meinen Großvater für Jugend, Aufbruch und Freiheit stand, eine bittere Zäsur im Leben das nun alten Mannes war. Dennoch war es die richtige Entscheidung, eine Entscheidung für die ich ihm immer Respekt entgegenbringen werde. Man stelle sich nur vor wie sein Leben zu Ende gegangen wäre, wenn er aus altersbedingter Unachtsamkeit, ein Kind verletzt oder gar tot gefahren hätte. Er wäre sicherlich nie wieder glücklich geworden und mit Schmach und Bitterkeit ins Grab gefahren. Aus diesem Grund sollte sich jeder ältere Fahrer und jede ältere Fahrerin völlig ehrlich mit sich selbst machen und regelmäßig die Frage stellen: Kann ich dieses tonnenschwere und blitzschnelle Geschoss von Fahrzeug noch sicher und vorausschauend fahren und kontrollieren? Im Zweifelsfall schadet es hier nicht sich eine zweite und unabhängige Meinung von Außenstehenden einzuholen.
Selbstredend ist nicht jeder ältere Fahrer automatisch ein schlechter Fahrer. Gerade unter den jungen und blutigen Anfängern gibt es viele, die ein Fahrzeug noch weit weniger gut beherrschen als die erfahrenen und lang dienten Fahrzeugführer. Hier hilft nur Übung, Praxis und eine große Portion Selbstdisziplin um besser und sicherer auf der Straße unterwegs zu sein. Wenn das Alter aber Sinneseindrücke und Reaktionsfähigkeit allmählich einschränkt und verlangsamt, ist es mit Übungen nicht mehr getan. Dann hilft nur schonungslose Ehrlichkeit und die Erkenntnis aus dem uralten Hit von Johannes Wader,” dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war”.
Persönliche Freiheit muss nun einmal dort enden, wo die Unversehrtheit anderer beginnt. Ich habe erlebt wie mein Kunstlehrer von einem fröhlichen und lebenslustigen Mann, der kurz vor der Pensionierung stand, zu einem gebrochenen und traurigen Greis wurde, als er beim rückwärts Ausparken ein kleines Mädchen mit seinem Wagen erfasste, welches noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen erlag. Wir alle erinnern uns auch sicher noch an den schrecklichen Unfall auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Oberderdingen, als ein Rentner beim Zurücksetzen aus einer Parklücke, eine junge Mutter samt ihrer Kinder erfasste und aus dem Leben katapultierte.
Wie furchtbar muss es sein, wenn nach einem langen und erfüllten Leben ein solcher Schicksalsschlag alles zunichte macht und die letzten Tage mit Traurigkeit, Bedauern und Scham ausfüllt?
Damit Menschen die im Alter diesen mutigen Schritt wagen nicht ihre ganze Mobilität genommen wird, gibt es immer wieder Projekte, die selbigen unterstützen sollen. Ab Mittwoch ist es beispielsweise in Baden-Württemberg möglich ab dem 65. Geburtstag den Führerschein gegen ein kostenloses Jahresticket im ÖPNV einzutauschen. (Mehr Infos dazu im untenstehenden Link). Selbstredend ist das eine sehr individuelle Entscheidung, zudem eine, die auf dem Land sicherlich problematischer ist, als in der gut vernetzten Großstadt. Die Zahlen sprechen aber bedauerlicherweise eine recht klare Sprache: Mehr als ein Drittel der Todesopfer im deutschen Straßenverkehr sind über 65 Jahre alt, gerade die älteren involvierten Autofahrer tragen in der deutlichen Mehrheit die Schuld an diesen Unfällen. Bedenkt man die Entwicklung und die Überalterung der Gesellschaft, werden diese Zahlen vermutlich weiter ansteigen.
Ja, so seh ich das auch- und die Idee mit den Öffentlichen ist auch super. Scheitert aber, zb für meine, inzwischen auch schon betagten, Eltern daran, dass man um zur nächsten Stadtbahnhaltestelle zu gelangen, ein Auto braucht…
Jawohl weg mit den Alten !!! Es gibt alte Menschen, die ihr Autole zum Einkaufen verwenden. Weil es ihnen sonst zu große Mühe macht. Und es gibt eben nicht immer die Möglichkeit vor Ort mehr einzukaufen, weil immer mehr Bäcker und Metzger nur noch an bestimmten Tagen geöffnet haben. Oder ganz geschlossen haben.Weil die Zeitgenossen eben eher beim Discounter einkaufen. Der Schreiber des Artikels sollte sich vielleicht auch darüber Gedanken machen wie es für ihn in der Zukunft sein wird. Ich werde nächstes Jahr 69 Jährchen alt. Also dann zum Abschuß frei gegeben. Das spart dann auch auf sehr elegante Art die weitere Bezahlung der Rente.