Die letzten Automaten verschwinden
Ein Kind der 80er erinnert sich
Kürzlich wurde ich Zeuge einer Szene die mir näher ging als ich es erwartet hätte. Ein Monteur entfernte in meiner Heimatstadt Eppingen einen der letzten verbliebenen Kaugummiautomaten. Er war zwar mit Graffitis „verziert“ – zudem völlig verbeult und trotzdem hinterließ er nicht nur an der Wand an der er Jahrzehnte lang gehangen hatte, sondern auch in mir eine große Leere. Was da achtlos in den Lieferwagen geworfen wurde, war ein kleiner Teil einer typischen 80er-Jahre Kindheit. Kam man an einem solchen Schmuckstück mechanischer Ingenieurskunst vorbei und hatte zufällig 10 Pfennig in der Tasche (für alle viel zu jungen = ca. 5 Cent) begann das Ritual. Die Münze wurde in den Schlitz gesteckt, der Hebel einmal im Kreis gedreht und frohlockend vernahm man das ratternde Geräusch der in den Schacht fallenden Kaugummikugel. Sobald diese im Mund war kam der Moment des ersten Zubeißens. Es war als ob man einen Stein knacken wollte (dieser Akt dürfte der Zahnarztbranche ein erkleckliches Einkommen gesichert haben) – doch war es geschafft und der Kaugummi gefügig gemacht, entfaltete er im Mund sein herrlich künstliches Aroma. Damals besorgte sich meine Mutter eine Liste mit den „tödlichen“ Folgen der Farbstoffe mit den bösen, bösen E´s.
Doch es half alles nix – ich wurde süchtig.
Tatsächlich stibitzte ich meiner Mutter dutzende Male Kleingeld aus dem Geldbeutel um es an der Ecke Rappenauerstraße / Lohgasse beim alten „Eisernen Kreuz“ im hiesigen Automaten auf den Kopf zu hauen. Wenn ich besonders viel kriminelle Energie zu entladen hatte, dann schnappte ich mir auch mal 50 Pfennig um mir am „Premium-Fach“ des Automaten eine Plastikkugel zu ziehen. Hier konnte man Glück haben und ein kleines Spielzeug (z.B. einen Ring oder ein Mini-Auto) ziehen, oder aber Pech haben und wieder nur ein Kaugummi bekommen. Hätte es damals den Warnhinweis “ Glücksspiel kann süchtig machen. Nähere Informationen unter xyz…“ schon gegeben, hätte man ihn unzweifelhaft an den diabolischen 50-Pfennig-Automaten anbringen müssen. Zum Vergleich: Das waren 10 Prozent meines monatlichen Taschengeldes!
Einer der Höhepunkte in der Karriere als „schwarzes Schaf“ war ein Besuch bei meinem nicht minder an „krummen Dingern“ interessierten Cousins in Marburg anno 1987. Mit einer Lupe brannte einer der beiden ein kreisrundes Loch in die Plastikabdeckung eines versteckt gelegenen Automaten. Danach mussten wir nur noch mit einem Teelöffel die süßen Kugeln zu Tage fördern. Hey, ich bin nicht stolz drauf! (Höchstens ein bisschen)
Ja, all diese Geschichten gingen mir durch den Kopf als der gute alte Kaugummi-Automat seinen letzten Gang antrat. Nur gut dass sein großer Bruder mit der weit ungesünderen Füllung für den hundertfachen Preis noch hängt – sonst wäre ich doch glatt völlig umsonst an die frische Luft gegangen.
Es erinnerte sich: Philipp Martin (aktuell in Marlboro-Country)