Die Brettener Schizophrenie

|

Fachwerk-Charme und Blechlawinen

Ein Gedanke von Philipp Martin

Die Brettener sind ein stolzer Haufen. Völlig zurecht, schließlich leben sie in einer der schönsten Städte im Kraichgau… ach was, sind wir ehrlich, in DER schönsten Stadt. In Bretten fühlt man sich sofort wohl, heimelig und geborgen. Wenn man durch die alte Innenstadt spaziert, die knorrige Eleganz der alten Fachwerkhäuser auf sich wirken lässt, auf dem Kopfsteinpflaster des alten Marktplatzes einen Kaffee trinkt und die Sonne hinter dem Pfeifferturm golden versinken sieht, geht einem einfach das Herz auf.

Mit seinem unschätzbar wertvollen Bestand historischer Gebäude, verfügt die Stadt über einen Schatz, ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Wer hier Hand anlegt muss eine Menge Fingerspitzengefühl mitbringen. Eingriffe in ein über Jahrhunderte gewachsenes, städtisches Erscheinungsbild müssen wohl abgewägt und reiflich überlegt sein. Schließlich gilt hier, wie kaum anderswo: Was weg ist, ist weg und kommt niemals wieder.

Heißt das nun, dass alle alten Gebäude der Stadt für immer tabu sind? Nein, denn damit würde sich die Stadt ihrer eigenen Chance auf Weiterentwicklung berauben. Auch wenn das in Bretten nicht immer so wirkt, dreht sich die Welt doch weiter, verändern sich die Umstände und Begebenheiten innerhalb und außerhalb der alten Stadtmauern herum fortwährend. Die Themen der Zukunft sind andere, als die der Vergangenheit und dem muss auch eine Stadt wie Bretten Rechnung tragen. In den mitunter recht ambitionierten Plänen der Stadtplaner, beispielsweise die Verkehrsflüsse in Bretten mittelfristig umzugestalten, liegt zwar viel Sprengkraft aber auch eine große Chance. Schließlich geht es auch darum, den Autoverkehr aus der Stadt heraus zu bekommen und den öffentlichen Personennahverkehr zu stärken. Ein Gedanke mit dem sich immer mehr Städte – nicht nur in Deutschland längst befassen. Manche sind hier gar schon Meilen voraus. Einen anderen Weg gibt es auch faktisch nicht, schon heute stehen die meisten Innenstädte aufgrund des ständig wachsenden PKW-Verkehrs kurz vor dem Kollaps.

Was diesen Punkt betrifft, sind die Brettener aber etwas schizophren, ihre Argumentation nicht ganz schlüssig. Einerseits votieren sie mit Herzblut für den Erhalt des historischen Stadtbildes und im Grunde all seiner Gebäude und Begebenheiten, andererseits wollen Sie in dieses pittoreske Ensemble aber am liebsten auch bis auf den letzten Meter mit dem Auto vordringen. Anders kann man sich die derzeitige Aufregung über den Wegfall einiger Parkplätze durch das Bauprojekt auf der Sporgasse nicht erklären. Nun sind es tatsächlich einige mehr geworden, als zunächst angenommen, was die Stadtverwaltung in Erklärungsnot bringt. Eine solche Erklärung hat die Stadt nun am gestrigen Abend veröffentlicht und beschwichtigt seine Parkplatz-suchenden Bürger mit mitunter eilends improvisierten Alternativen.

Ich habe das in Bretten nie ganz verstanden… blickt man vom erhöhten Stadtpark auf die Altstadt hinab, so fällt der Blick erst einmal auf einen riesigen Parkplatz, ja eine echte Betonwüste. Dieses Loch zu schließen, drängte sich für mich als Auswärtiger schon von Anfang an regelrecht auf. Ob es jetzt ein Ärztehaus hätte sein müssen, darüber lässt sich natürlich vortrefflich streiten, aber alles ist besser als ein graues Loch.

Wenn Bretten sich selbst überleben will, wird es sich ein Stück weit neu erfinden müssen. Dazu gehört in meinen Augen der verantwortungsvolle Umgang mit der eigenen Vergangenheit, die Bewahrung ihrer Schätze, aber auch die Weiterentwicklung zu einer lebensfähigen Stadt, in der sich auch jüngere Generationen entfalten und wirken können. Museen sind schön, aber niemand will darin leben. Eine Stadt muss Platz für beides bieten: Für das bewährte Alte aber auch für das Kommende, das Neue. Eine Stadt darf auch die Augen vor besagtem Neuen nicht verschließen… in den Innenstädten von morgen dürfen und werden Autos kein allzu großes Thema mehr sein. Hier könnte Bretten seine Stärke voll ausspielen, denn diese Stadt wurde lange, lange vor der Erfindung des Automobils erbaut. Hier könnten neue Formen der Mobilität erkundet werden. Mit dem E-Shuttle direkt ins Herz der Altstadt – lautlos und emissionsfrei..why not? Unbehelligt von Lärm und Abgasen die historische Schönheit der alten Stadt genießen? Eine schöne Vorstellung.

Ein verbissenes Festhalten am Gestern war aber noch nie und wird niemals irgendwo eine Lösung sein. Einzig allein die Tatsache dass etwas alt ist, oder dass man sich daran gewöhnt hat, kann nicht das ultimative Argument für dessen ewigen Fortbestand sein. So funktioniert das Leben nicht, alles hat bekanntlich seine Zeit. “Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen” lautet eine Zeile aus Hermann Hesses berühmten “Stufen”. Wenn Bretten es schafft diesen Spagat hinzulegen: Altes bewahren und doch Raum für Neues schaffen, wird es auch in Zukunft das sein, was es heute ist: Die verdammt noch einst schönste Stadt weit und breit.

Vorheriger Beitrag

Östringer Herbst-Nacht lockt mit vielen attraktiven Angeboten

Unbekannte sprengen Fahrkartenautomat in Untergrombach

Nächster Beitrag