Der Kraichtal-Triathlon: Schimpfen, Motzen, Meckern

| , ,

Eine Kolumne von Tommy Gerstner

Himmel, Arsch und Zwirn, Kreuzkruzifix, Himmelherrgott, Sakrament, Leckst mi am Arsch, du Pfannakuacha, du windiga! So, o´flucht is! Was ihr könnt, liebe Kraichtaler – kann ich auch. Motzen bis das Fressloch qualmt. Zugegeben, die meisten meiner Flüche habe ich von meinem Onkel aus Bayern, aber die fluchen nun mal so schön….  Mittlerweile lebe ich schon seit geraumer Zeit im Badischen, genauer im schönen Kraichtal. Als Fotograf und Kolumnist für die geschätzten Hügelhelden komme ich recht viel herum im Land der tausend Hügel, aber nirgendwo wird so schön geschimpft, gemotzt und gemeckert wie in Kraichtal. Egal in welchem der neun Stadtteile man gerade zu Gast ist, überall wird gerne gebruddelt und gejammert. In Unteröwisheim, Münzesheim und Oberacker über den Verkehr, in Bahnbrücken über den möglichen Verkauf der Kelter, in Gochsheim über das harte Wasser, in Landshausen über die Grundschule,  in Oberöwisheim über das Internet und  und und…. Nur in einem sind sich alle einig: Schuld hat in jedem Fall das Rathaus und der Bürgermeister. Würde man sich nur auf die Beschreibung der Kraichtaler verlassen, so müsste man sich diesen als diabolisch lachenden Skeletor in der von dunkeln Gewitterwolken verhüllten Knochenburg im Limbus vorstellen. Er und seine Rathaus-Crew sind für alles Übel in der Stadt verantwortlich, darüber hinaus auch für das Ozonloch, die Explosion der Challenger, BSE und Herpes.

Versteht mich nicht falsch liebe Freunde, es gibt reichlich Probleme in Kraichtal – die meisten davon sind aber so komplexer Natur, dass es mit einer einfachen Schuldzuweisung einfach nicht getan ist. Und wie bei allem komplexen Problemen gibt es darauf schlicht keine einfachen Antworten, auch wenn dieser Ansatz in den letzten Monaten nicht nur regional sehr populär geworden ist. Lasst mich doch im Folgenden meinen reichlich vorhandenen Senf auf die bockigsten Kraichtaler Bockwürste schmieren…. here we go.

1.) Verkehr

Joa, das Thema nervt tierisch. Tag für Tag quält sich eine Blechlawine durch Unteröwisheim, Münzesheim und Oberacker. Die engen einstigen Dorfsträßchen sind für den massigen Schwerlastverkehr schlicht nicht geeignet und daher kollabiert der Verkehrsfluss regelmäßig. Für Anwohner und Fußgänger ist das eine katastrophale Situation und in der Tat ein gigantisches Kackorama! Die Rufe nach einer Umgehungsstraße sind so alt wie Methusalem und wurden doch bisher nicht erhört. Für viele ist klar – die Stadt ist schuld an der Misere. Doch schauen wir uns das Problem genauer an! Die betroffene Straße trägt den Namen L554, das L steht dabei für Landesstraße und fällt damit in den Einflussbereich des Landes. Kraichtal könnte nur die Hoheit darüber erlangen, wenn es die Unabhängigkeit ausruft und sich von der Bundesrepublik abspaltet – wie leicht das geht, zeigt aktuell Katalonien. Bis dahin kann die Stadt nur versuchen auf politischer Ebene ihren Einfluss geltend zu machen, was sie im Übrigen schon unzählige Male versucht hat, schließlich ist auch ihr an einer Lösung für das Problem gelegen. Doch eine leichte Lösung gibt es in diesem Fall nicht! Eine Umgehungsstraße könnte entweder als Mutlimilliarden-Tunnel durch die Weinberge gegraben werden oder müsste rechts von Unteröwisheim über Bruchsaler Gemarkung führen. Diese Lösung wurde aber von der Stadt Bruchsal wegen der immensen Zerstörung der Landschaft ad acta gelegt. So, und nu?

2.) Flüchtlinge

Zugegeben, das Thema ist nicht mehr brandaktuell, wird aber immer noch rege diskutiert. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wurden in Unteröwisheim und Münzesheim zwei Container-Siedlungen errichtet die als Erstaufnahmeinrichtungen rund 250 Asylsuchende aufnahmen. In Unteröwisheim ist davon nur noch ein Schotterplatz übrig, in Münzesheim stehen viele Zimmer bereits wieder leer. Damals entlud sich aber bei zahlreichen Bürgerversammlungen die Wut in Richtung des Rathauses. Das Problem: Das Rathaus hatte in dieser Angelegenheit absolut keine Wahl. Vom Landkreis Karlsruhe wurden alle Gemeinden in die Pflicht genommen und wo es nur ging wurden Notunterkünfte aus dem Boden gestampft. Die Ankunft und Zuteilung der Menschen wurde nicht selten nur mit wenigen Stunden Vorlauf den Gemeindeverwaltungen gegenüber bekannt gemacht. Gleiches gilt auch für die Anschlussunterbringung – die Stadt hat keine Wahl sondern die Auflage entsprechende Kapazitäten zu schaffen.

3.) Hartes Wasser

Zu den absoluten Luxusproblemen der vergangenen Jahre gehörte die Diskussion um teilweise höhere Härtegrade im Trinkwasser, die sich durch die bauliche Umstellung der Kraichtaler Wasserversorgung ergibt. Auf einer diesbezüglichen Bürgerversammlung in Gochsheim wurde die Stadtverwaltung ausgepfiffen und ausgebuht… Nicht weil Sie ein atomares Endlager im Keller des Graf-Eberstein-Schlosses verkündet hatte, sondern lediglich einen steigenden Härtegrad durch eine vermehrte Einspeisung von Kraichtaler Brunnenwasser. Eine Umfrage von TNS Emnid im Auftrag des Forums Trinkwasser e.V. hat vor einigen Jahren die Bundesbürger zu ihrem Wissen in Sachen Wasserhärte befragt… die Mehrheit beantwortete die meisten Fragen schlicht falsch. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, hartes Leitungswasser wäre per se schlecht. Dabei besteht Kalk aus Calcium und Magnesium – lebenswichtige Mineralstoffe, die für den Energiestoffwechsel unerlässlich sind. Das eine höhere Wasserhärte für Haushaltsgeräte unzuträglich ist und zu einem höheren Verbrauch an Reinigungsmitteln führt, bleibt dabei aber unbestritten. Aufgeblähte Backen und Hahnenkämme wegen eines Härtegrades der exakt dem bundesdeutschen Durchschnitt entspricht, ist dennoch dezent „too much“.

4.) Einsparungen

Gleich zu Beginn: Ja, der Betrugs-Skandal eines ehemaligen städtischen Angestellten, hat ein großes Loch in die Kassen der Stadt gerissen und ja: Mit besseren und schärferen Kontrollmechanismen wäre die Sache früher entdeckt und der Schaden verringert worden. Bitte vergessen Sie aber nicht: Der Betrug erstreckte sich über viele viele  Jahre und über mehrere Administrationen im Rathaus. Er begann zu einer Zeit als noch kaum mit EDV-Systemen gearbeitet wurde und die Kombination aus Zettelwirtschaft und Vertrauensvorschüssen entsprechende Lücken mit sich brachte. Was die finanzielle Situation der Stadt angeht, so ist der Schaden aber rein rechnerisch im Jahr 2017 nicht mehr kriegsentscheidend. Dazu muss man sich nur die Zusammensetzung Kraichtals ansehen. 1971 wurden durch einen entsprechenden demokratischen Beschluss neun Dörfer zu einer Stadt zusammengeschlossen. Doch nur weil man Stadt auf die Verpackung schreibt, ist noch lange keine drin – zumindest nicht im klassischen Sinn. Wir haben hier neun Dörfer, alle mit entsprechenden Bedürfnissen und Problemen. Jeder will eine Festhalle, eine Stadtbahnhaltestelle, eine eigene Schule, Supermärkte und am liebsten noch je einen internationalen Flughafen. Das führt dazu, dass z.B. auf 1500 Menschen in Kraichtal eine Sporthalle kommt. Bei diesem Verhältnis müsste Karlsruhe zum Beispiel knapp 200 Sporthallen haben. Diesen hohen Kosten stehen bedingt durch die ländliche Lage Kraichtals nur wenige Einnahmen aus Wirtschaftsbetrieben gegenüber. Einzig Münzesheim ist für Neuansiedlungen interessant, doch hier ist der verfügbare Platz endlich. Wenn die Stadt aber versucht irgendwo Einsparungen vorzunehmen, etwa mit dem Verkauf von nicht rentablen Immobilien wie den ehemaligen Rathäusern, dann ist das Gezeter grenzenlos. Sogar die Forderung nach der Reinigung des Oberöwisheimer Pfannwaldsees und dessen Umwandlung in das vermeintliche Idyll von einst, steht derzeit in den Forderungskatalogen mancher Bürger. Wie das allerdings technisch funktionieren soll, bleibt unerwähnt. Was bleibt der Stadt also übrig um weiter für Menschen und die mit Ihnen kommende Wirtschaftskraft attraktiv zu bleiben? Genau! Der Tourismus muss angekurbelt werden und mit einer weiterführende Schule die Ausbildung der Kinder neuer Familien gesichert werden. Für den ersten Punkt hat die Stadt eine erfahrene Tourismusbeauftragte eingestellt und für den zweiten Punkt – auch wenn er den größten finanziellen Kraftakt seit der Stadtgründung darstellt, den Bau bzw. Ausbau der Gemeinschaftsschule.

5.) Internet

Internet auf dem Land ist in Deutschland anno 2017 immer noch ein Trauerspiel. In Kraichtal sieht es hier in manchen Ortsteile besser, in anderen schlechter aus. Damit auch die Stadtteile besser versorgt werden, für die sich Untiymedia oder die Telekom in der Vergangenheit weniger interessierten, hat die Stadt den Schulterschluss mit der Breitbandkabel Landkreis Karlsruhe GmbH gesucht. Wir erinnern uns: Diese GmbH wurde vom Landkreis nur deshalb gegründet, weil die großen Provider einst aus wirtschaftlichen Motiven nicht gewillt waren in kleineren Gemeinden in schnelle Netze zu investieren. Danach kamen plötzlich die Mitbewerber in die Pötte und boten mit Übergangstechnologien wie dem Vectoring wieder neue Möglichkeiten an. Jetzt aber dem Landkreis in den Rücken zu fallen, nachdem dieser zum Wohle des platten Landes in die Bresche gesprungen war, ist schlicht illoyal.  Das Festhalten der Stadt an dieser Institution sollte daher nicht verteufelt werden.

Liebe Mit-Kraichtaler, was will ich damit eigentlich sagen? Nun, in erster Linie: Seid fair. Kraichtal hat von Natur aus schlechtere Karten auf der Hand wie z.B. ein starkes Mittelzentrum wie Bruchsal. Hohen städtischen Ausgaben stehen nur eingeschränkte Gewinnmöglichkeiten entgegen und der demografische Wandel arbeitet auch nicht gerade zu unseren Gunsten. Es braucht weniger Gegeneinander, sondern schlicht mehr Miteinander. Wie ein starkes Miteinander funktioniert zeigen doch unsere Vereine schon eindrucksvoll… Wenn wir das nun auch zwischen unseren neuen versprengten Stadtteilen hinbekommen und auch bereit sind ab und an weniger emotional und mehr pragmatisch zu entscheiden, dann können wir es gemeinsam schaffen.  Wir müssen darüber diskutieren können ob eine Grundschule geschlossen werden kann, wenn zwei Kilometer weiter die nächste steht. Wir müssen prüfen ob zwei Veranstaltungshallen in einem Teilort sinnvoll sind oder wie man weiter Kosten einsparen kann… Lasst uns sachlich miteinander reden und nicht gegen- sondern miteinander sein. Und wer gerne schimpft, motzt und meckert… dafür gibt es trotzdem Stoff ohne Ende… zum Beispiel diese Ausgabe meiner Kolumne… also gebt mir in den Kommentaren ordentlich Pfeffer, keine Sorge, das hält der Papa schon aus.

So long, Euer Tommy Gerstner

PS:

Laßt mir jene Streite
Von Tyrannei und Sklaverei beiseite.
Mich langeweilt’s; denn kaum ist’s abgetan,
So fangen sie von vorne wieder an.

Johann Wolfgang von Goethe

Vorheriger Beitrag

Der Hardtsee fällt in den Winterschlaf

Süßer geht´s nicht – Der Schokotag in Gochsheim

Nächster Beitrag